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Der Begriff "Dirne" gilt im
heutigen Sprachgebrauch als ein etwas veraltetes
Synonym für "Prostituierte". Als Prostituierte
gilt eine Frau - oder auch ein Mann - die/der für
sexuelle Dienstleistungen Geld oder andere Werte
als Gegenleistung nimmt. Da sich die
gesellschaftliche Definition von "Prostituierter"
gerade im Zeitraum unserer Untersuchung stark
wandelt, wird dieser Aspekt später noch genauer zu
untersuchen sein. Soviel vorweg: Aus
bürgerlich-moralischer Sicht galt im 19.
Jahrhundert eine Frau bereits dann als
Prostituierte (im weitesten Sinne), wenn sie
ausserehelichen Geschlechtsverkehr hatt, während
sich besonders nach dem Ersten Weltkrieg der
gesellschaftliche Moralcodex dahingehend wandelt,
dass sie tatsächlich Geld entgegennehmen muss, um
als Prostituierte betrachtet zu werden.
Zur Etymologie: Die exakten Bedeutungswandlungen und
-zusammenhänge der Herkunft des Wortes "Dirne" - aber
auch die exakten Wort-Stammableitungen - sind bis
heute nicht ganz geklärt. Einig ist sich die
germanistische Forschung darüber, dass das Wort auf
das althochdeutsche "thiorna" (=Mädchen, Jungfrau)
zurückgeht und im Mittelhoch-, aber auch im
Mittelniederdeutschen eine Bedeutungswandlung zu
"Dienerin, (Bauern)magd, Mädchen" erfahren hat. Die
Bedeutung "Prostituierte", besonders als "Magd"
(=Mädchen aus niederen Schichten) ist seit dem 15.
Jahrhundert nachgewiesen.
Während "Dirne" in der Hochsprache weitgehend als
"Hüllwort"in der Bedeutung "Prostituierte" verwendet
wird, ist es in den Mundarten zum Teil noch in der
alten Bedeutung lebendig (z.B. Bayrisch Dirndl -
Dirndlkleid).
Auch Walter Schmähling setzt in seiner Arbeit "Die
Darstellung der menschlichen Problematik in der
deutschen Lyrik von 1890-1914"den Begriff "Dirne" dem
Begriff der "Prostituierten" gleich, ohne jedoch -
und dies ist schade - auf die gesellschaftliche
Definitions-Problematik einzugehen.
Bereits beim historischen Begriffsnachweis von
"Dirnenlied" sind wir auch auf den Begriff
"Hetärenlied" gestossen. Als "Hetäre" [griechisch =
Gefährtin] wurden im antiken Griechenland die edlen
und gebildeten Prostituierten bezeichnet, die im
Gegensatz zu den niederen Dirnen sozial anerkannt
waren und zum Teil eine in der Gesellschaft
einflussreiche Rolle spielten: so z.B. Aspasia (die
zweite Gattin des Perikles), Thais (Geliebte
Alexanders des Grossen) oder Phryne (Geliebte
Praxitele).
Betrachten wir jedoch Blümmls "Hetärenlieder", so
fällt auf, dass es sich bei diesen Liedern um
Volkslieder aus den niedersten Ständen handelt. Auch
die Figuren, die wir in diesen Texten vorfinden -
meist Strassen- und Bordelldirnen -, haben nichts
gemein mit der griechischen Definition von "Hetäre".
Blümml gebraucht also den Begriff als Synonym für
"Dirne", wobei er vermutlich den Begriff "Hetäre"
deswegen gewählt hat, weil dieser nicht gar so
abschätzig wie "Dirne" erscheint und darüber hinaus
wissenschaftlicher klingt (zumindest in seiner Zeit).
Auch der Maler Heinrich Zille verwendete den Begriff
"Hetäre" als gleichbedeutend mit "Dirne". In seinem
1919 erschienenen Band "Hetärengespräche" (Bild und
Texte Heinrich Zille) erzählen einander acht
Strassendirnen aus dem tiefsten Milieu in Bild und
Text ihre Lebensgeschichten - ohne sexuelle
Zensurbalken. Auch hier wird demzufolge der Begriff
Hetäre nicht im ursprünglichen Wortsinn gebraucht,
sondern als Synonym für Dirne. Zille hat sich in
seinem Titel wohl an Pietro Aretinos
"Hetärengespräche" angelehnt. Pietro Aretinos
"Ragionementi" (1533-1535) erschienen nach der
Jahrhundertwende im deutschen Sprachraum in
zahlreichen Neuauflagen - meist als limitierte
Privatdrucke - und waren in literarischen Kreisen
sehr bekannt. Die Titel dieser Ausgaben variieren:
Mal erscheinen sie als "Kurtisanengespräche", mal als
"Hetärenweisheiten", aber eben auch als
"Hetärengespräche". Auch Lukians "Hetärengespräche"
erfreuten sich zahlreicher Neuauflagen in dieser
Zeit. Bei diesen Publikationen treffen wir jedoch -
anders als bei Zille und Blümml - tatsächlich auf die
Figuren der Edelprostituierten. In Pietro Aretinos
"Hetärengesprächen" erzählt zum Beispiel die berühmte
Edelprostituierte Nana ihrer Tochter Pippa, wie man
reiche alte Herren ausnimmt. Ganz klar grenzt Nana
ihren Beruf von den niederen Strassenprostituierten
ab - die wichtigsten Unterschiede dabei sind:
richtiges Benehmen bei Hofe, eine gewisse Bildung und
der hohe Preis.
Im September 1926 bringen Marcellus Schiffer und
Friedrich Hollaender in Berlin im Kleinen Theater
ihre Revue "Hetärengespräche" heraus. Auch sie lehnen
sich in der Namensgebung vermutlich an die oben
erwähnten Publikationen. Allerdings dominiert in
dieser Revue bereits der Typus des uniformen
"Grossstadt-Girls" - von "Hetärentum" im griechischen
Sinn ist auch hier nichts zu spüren.
Bezüglich des Begriffs "Hetäre" können wir also
festhalten, dass dieser im Zeitraum unserer
Untersuchungen zwar weniger häufig auftaucht als der
Begriff "Dirne", jedoch vielfach in der gleichen
Bedeutung gebraucht wird.
Ein weiterer Begriff ist bereits gefallen und bedarf
der genaueren Erläuterung: "Kurtisane". Als
"Kurtisane" wurde vom 16. bis hinein ins 19.
Jahrhundert meist die Geliebte eines Adligen
bezeichnet. Auch die "Kurtisane" galt - wie die
"Hetäre" - im Gegensatz zu den gemeinen Dirnen als
gebildet und "gesellschaftsfähig". Im 19. Jahrhundert
wird der Begriff besonders für Geliebte aus dem
Theaterbereich verwendet (also Schauspielerinnen,
Tänzerinnen, Sängerinnen). Die verschiedenen
Titelbezeichnungen von Aretinos "Ragionamenti" weisen
darauf hin, dass der Begriff "Kurtisane" zum Teil
ebenfalls vielfach als allgemeines Pseudonym für
"Dirne" gebraucht wurde.
In der Mitte des 19. Jahrunderts kam von Frankreich
ausgehend der Begriff "Cocotte" - Kokotte - in Mode.
"Kokotte" und die "Kurtisane" unterscheiden sich
zunächst sowohl realgeschichtlich als auch in der
künstlerischen Darstellung durch ein wesentliches
Merkmal: An die Stelle des "adeligen Liebhabers" der
Kurtisane tritt der "finanzstarke bürgerliche
Liebhaber" der Kokotte.
Sowohl Kokotte als auch Kurtisane werden als "Dirnen"
betrachtet, unterschieden sich von den gewöhnlichen
Strassendirnen durch eine gewisse "Fixanstellung".
Sie sind Mätressen, die zwar ihrem Liebhaber zur
Verfügung stehen, dafür aber die Finanzierung eines
angenehmen, oft luxuriösen Lebens forderten. (Wir
sprechen hier natürlich vom allgemeinen Klischee -
was aber in vielen Fällen zutraf).
Darüber hinaus entwickelt sich der Begriff "Kokotte"
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer
spezifischen Typus-Bezeichnung. Während die Begriffe
"Kurtisane", "Dirne" und "Hetäre" lediglich den
Prostituierten-Beruf und die unterschiedliche
Berufssituation bezeichnen, steht "Kokotte" bald für
bestimmte Charaktereigenschaften einer Frau und
insbesondere für bestimmte weibliche Gebarensweisen
den Männern gegenüber: Die Kokotte reizt, sie lockt,
stösst zurück, weist die Verehrer wieder in die
Schranken - ist nicht einfach käuflich, sondern
spielt bereits mit ihrer Käuflichkeit und muss - wenn
auch auf andere Weise als die bürgerliche Frau -
erobert werden. Insbesondere Kurt Tucholsky liefert
in seinem Artikel "Die Massary" (1913) einen Ansatz
zu einer "Ästhetik der Kokotte" und einer
Typusbeschreibung.Er charakterisiert die Kokotte in
Bezug auf die Männer als "Löwenbändigerin", die ihren
Freiern insbesondere dadurch überlegen ist, dass sie
mit der "sexuellen Hörigkeit" zu spielen weiss.
Wie wir noch sehen werden, werden in der
künstlerischen Darstellung der Kokotte - in der
Malerei und auch in der Literatur - gern Züge einer
"Femme fatale" zugeschrieben. Sie erscheinen also den
Männern gegenüber als "Täterinnen", im Gegensatz zu
den gewöhnlichen Strassendirnen, die besonders im
Naturalismus meist in der "Opferrolle" dargestellt
werden. Während Tucholsky 1913 jedoch die Kokotte
noch in erster Linie als Edelprostituierte
charakterisiert, entstehen in den Chansons der frühen
Zwanziger Jahre auch Kokotten-Typen aus dem
Gossen-Milieu, die trotz finanziellem Elend und Armut
den Freiern schnoddrig mit "koketter" Haltung als
"Löwenbändigerinnen" im Sinne von Tucholskys
Definition gegenübertreten. Zwar unterschieden sich
diese Gossen-Milieu-Kokotten in der Besitzlosigkeit
von der Edel-Kokotte, nicht aber in ihrem
Selbstvertrauen und ihrer frechen Haltung den Männern
gegenüber.
Zusammenfassend können wir also festhalten, dass mit
dem Begriff der Kokotte ein Dirnen-Typus mit
bestimmten Charaktereigenschaften verbunden wird,
während die Begriffe Dirne, Hetäre und Kurtisane im
Zeitraum unserer Untersuchung im Allgemeinen als
Synonym für "Prostituierte" verwendet werden - ohne
Rücksicht auf ihre ursprüngliche Bedeutung.
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